Einfach nur vernünftig
Peter Michael Lingens, eine der herausragendsten Journalistenpersönlichkeiten Österreichs, seziert in seinem Buch minuziös das Scheitern des sogenannten „War on Drugs“. Dabei geht es ihm nicht im Geringsten um Legalisierung (außer im Sonderfall Hanf), sondern um das Durchbrechen eines fatalen Kreislaufs: Die US-amerikanische Alkoholprohibition hatte die Mafia erstmals stark gemacht; ihr Ende bedeutete auch beinahe das Ende des organisierten Verbrechens. Dank des Anti-Drogen-Kriegs, einer Erfindung Nixons aus den frühen 1970er Jahren, die der ganzen Welt aufgezwungen wurde, ist die Mafia heute so mächtig wie nie zuvor: Sie schwimmt in Geld, da die Gewinnmargen beim Handel mit den illegalen Substanzen zwischen 300 und 1 000 (!) % liegen. Dies ist alles andere als ein Randproblem: Die Mafia finanzierte z.B. die italienischen TV-Sender, die ihrerseits wiederum Berlusconi an die Macht brachten und dort halten. Lingens: „Berlusconi, der durch seine völlige Inkompetenz eine (ökonomische) Gefahr darstellt, ist ein direkter Erfolg der Mafia.“ Wer weiß was noch: Während der Bankenkrise war kaum jemand liquide außer den mafiösen Strukturen, die sich entsprechend billig in jedes gewünschte Geschäft einkaufen konnten…
Lingens Konzept sieht vor, alle Drogen zu verstaatlichen und für eine kontrollierte Abgabe zu sorgen – mit Preisen, die niedrig genug sind, um die Mafia aus dem Spiel zu nehmen (niemand riskiert langjährige Haftstrafen für handelsübliche Gewinnspannen), und hoch genug, um nicht zum allzu leichtsinnigen Konsum zu verlocken. Alle internationalen Beispiele zeigen, dass eine Entkriminalisierung oder eine wirkliche Legalisierung des Konsums nie zu einer Steigerung des Drogenkonsums führen: der ist mehr oder minder ungeachtet aller Rahmenbedingungen konstant und für Lingens auch ein gänzlich anderer Problemkreis. Er plädiert ausschließlich für die Vernunft: 840.000 Menschen sind in den USA wegen Cannabisdelikten inhaftiert (the „Land of the Free“ hat den global höchsten Pro-Kopf-Anteil an Häftlingen, weit vor Staaten wie China, Saudi-Arabien, Afghanistan, Weißrussland usw.). Auf Bundesebene saßen 1970 0,4 Millionen ein, 2010 1,4 Millionen; die Differenz geht zu mehr als 100 % zu Lasten des War on Drugs, da die wirklichen Verbrechen, die an Leib, Leben und Besitz, sämtlich zurückgegangen sind. 10.000 Menschen sterben jährlich allein im innermexikanischen Kokainkrieg Armee gegen Drogenbarone. 130.000 Cannabisverfahren belasten das deutsche Staatsbudget Jahr für Jahr…
Der Krieg gegen die Drogen hatte zwei Ziele: Senkung der Produktion und Erhöhung der Preise. Beides wurde unwiderlegbar verfehlt: Die Produktion ist seit Jahrzehnten auf hohem Niveau stabil, die Preise, von kurzfristigen Spitzen abgesehen, permanent im Sinkflug. Höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel; es ist zu wünschen, dass Lingens ökonomisch-rationales Konzept jene unter den Entscheidungsträgern anzusprechen vermag, die auf den moralischen Ohren bisher taub geblieben sind.
Peter Michael Lingens: Drogenkrieg ohne mit Ausweg. Kremayr & Scheriau, Wien 2011. Geb., 160 S.