Das Mitternachtskleid. Ein Abschied.
Tiffany Weh, mittlerweile offizielle Hexe des Kreidelands, bekommt es in ihrem 4. Auftritt mit dem Tückischen zu tun. Der Tückische, das ist das Gift des Bösen selbst. Es schleicht sich ein, es setzt sich ab, es ist immer da und hat alle Zeit der Welt, auf die Schwäche eines Menschen zu warten: „Hetze findet immer ein Ohr“.
In der physisch kaum präsenten, dafür umso bestialisch stinkenderen Gestalt des vagen Schattens eines längst verstorbenen Hexenjägers, der sich wie ein Körperfresser von einem Opfer zum nächsten bewegt, hat sich der Tückische Tiffany als neuestes Ziel seiner nie endenden Hatz auserkoren. Wie die meisten, die tun, was getan werden muss, sich ehrlich und selbstvergessen um andere kümmern, um Toleranz, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit bemüht sind und mit einem Wort stets danach streben, es „richtig“ zu machen, sieht sich auch Tiffany einer letzten schweren Prüfung ausgesetzt, bevor sie mit dem Überstreifen des titelgebenden Mitternachtskleids endgültig zur Vollhexe werden wird.
Es ist, wie alle Bücher mit Junghexe Tiffany, ein Märchen von der Scheibenwelt – spöttisch und voller Weisheit und Witz wie alle Pratchetts, aber eben auch ein wenig verträumter und noch liebevoller als andere Scheibenwelt-Geschichten. Seit der Alzheimer-Diagnose bei (seit 2009) Sir Terence David John „Terry“ Pratchett im Jahr 2008 bangt seine riesige Fangemeinde mit jedem Monat mehr darum, ob der Meister noch weiter … kann, will, wird … Mit dem Erwachsenwerden von Tiffany könnte nun tatsächlich das letzte originäre Werk erschienen sein, und dass er es darin literarisch mit dem Bösen selbst aufnimmt, ist so gesehen ein mehr als würdiger Abschluss seines Lebenswerks.
Sir Terry führt nämlich seinen allerletzten Kampf: Terry Pratchett: Choosing to Die hieß eine im Juni 2011 ausgestrahlte BBC-Sendung mit ihm, in der er sich für Sterbehilfe ausspricht. Der große alte Weise möchte seine letzte Reise aus eigenem Entschluss antreten und nicht warten müssen, bis er als demente, geistlose Hülle entsorgt wird.
WARUM MACHST DU DANN NICHT EINFACH EINEN TERMIN?
Einfach so? Und das funktioniert?
DAS WIRST DU DANN JA SEHEN. DU HAST ABER GUTE CHANCEN, DASS ICH MIR DIE ZEIT NEHME. HAB DICH SCHON LÄNGER IM AUGE.
Du hast doch gar kein Auge …
DU WARST AUCH SCHON ORIGINELLER.
Mag sein, aber das gilt auch für deine Metaphern. Liegt das vielleicht daran, dass du schon so lange im Grunde immer dasselbe machst?
WOLLTEST DU NICHT WAS VON MIR?
Ich hätte dich für humorvoller gehalten.
ICH WEISS. ICH HABS GELESEN, ALS ICH DAFÜR NOCH ZEIT HATTE. ABER DER JOB WIRD IMMER STRESSIGER, EHRLICH GESAGT. ICH KOMM DER VERMEHRUNG NICHT MEHR NACH.
Ein Grund mehr, ein bisschen Platz zu schaffen.
AM DONNERSTAGABEND KÖNNTE ICH MIR ZEHN MINUTEN ABZWACKEN.
Sollten wir das nicht mit Handschlag und Spucke besiegeln?
SPUCKE HABE ICH AUCH KEINE. ABER ICH HALTE IMMER WORT.
Terry Pratchett: Das Mitternachtskleid. Manhattan 2011, Tb., 416 S.