Zweimal keine Geschichte
Haiti, 1962. Ein Mann wird vergiftet und beerdigt. Männer in Lumpen, mit hängenden Schultern und Köpfen und ungelenken Bewegungen, wie man sie aus Genre-Zombiefilmen kennt, werden als Arbeitssklaven bei der Zuckerrohrernte eingesetzt. Körperlich scheinen sie indes unversehrt, und auch ihr zombiehorrortypischer unstillbarer Appetit auf Menschenfleisch ist nicht vorhanden. Unter ihnen auch der Tote?
Paris, Gegenwart. Ein seltsames Mädchengymnasium, Uniformen mit Schärpen, Rückwärtsneigen statt Verbeugen, Bildungselite jenen vorbehalten, deren Eltern von der Ehrenlegion ausgezeichnet wurden. Die Haitianerin Mélissa sucht Anschluss und findet eine Clique, die sich über ihre Nähe zu zeitgenössischer Literatur definiert.
Es wird fleißig hin- und hergeblendet zwischen den beiden auf ihre je eigene Art völlig fremdartigen Lebenswelten, die Pointe der Story – Mélissa ist die Enkelin des wiedergenesenen Zombies – ist einerseits aufgrund des Titels offensichtlich, kommt aber aus der Geschichte selbst erst spät hervor. Wie überhaupt der ganze Film das erzählerische Pferd von hinten aufzäumt, damit aber nicht Spannung, sondern Lähmung erzeugt. Eine Dokumentation zum Thema Zombifizierung in Haiti wäre weitaus angemessener gewesen – gefolgt von einer über die napoleonische Bildungseinrichtung in Paris. Der Versuch, die haitianische Story mit Gegenwartsbezug aufzuladen, scheitert kläglich. Trotz oder gerade wegen des ekstatischen Finales, in dem Trancerhythmen, zuckende Leiber, Geister und Besessenheiten an gleich drei Schauplätzen eine ozeanübergreifende Verbindung heraufbeschwören, die nicht greifbar wird. Zumal ein Ende voller Ungeklärtheiten das mühsam zusammengestückelte Inhaltspuzzle beiseiteschiebt und durch neue Fragezeichen ersetzt.
Schade um den Aufwand für ein ambitioniertes und mit den besten Absichten verfolgtes Projekt: Bertrand Bonello, verantwortlich für Regie, Produktion, Drehbuch und Musik, musste um Akzeptanz ringen, kulturelle Abgründe überwinden und sich mit der desaströsen haitianischen Infrastruktur herumschlagen, wo ein stabiler Stromanschluss ein echter Grund zum Feiern ist. Enormer Zeitdruck und ein Minibudget dürfen zudem als weitere mildernde Umstände ins Treffen geführt werden. Letztlich zählt aber doch nur, was auf der Leinwand zu sehen ist. Und dass ausgerechnet Bonello, der schon bisher nicht als begnadeter Storyteller auffallen konnte, aller Widrigkeiten zum Trotz sich gleich an zwei parallel erzählten Geschichten versucht, hat dem Ergebnis wahrlich nicht gutgetan.
Zombi Child
Regie, Buch, Produktion, Musik: Bertrand Bonello | Frankreich 2019, 103 Min. | Sprache: Französisch| Haitianisch | Englisch
Mit: Louise Labeque (Fanny), Wislanda Louimat (Mélissa), Katiana Milfort (Katy), Mackenson Bijou(Clairvius Narcisse), Adilé David (Salomé)
Ich habe Zombi Child auf der Viennale ’19 gesehen. Der Kinostart ist für 2020 vorgesehen (Stadtkino-Filmverleih)