Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

[Alien] Star Dust – fast

Auf der Suche nach der „immersiven Kunsterfahrung“ im Naturhistorischen Museum: eine Eröffnung mit Hindernissen

Gerade noch prä-corona wurde am 10. März im NHM das „ortsspezifische, immersive Kunsterlebnis“ [Alien] Star Dust eröffnet. Es würde „das Erlebnis, wenn sich Meteoriten und Mikro-Meteoriten mit anthropogenem Staub verbinden, … für das Publikum unmittelbar erfahrbar“ machen. Ich konnte mir darunter wenig vorstellen und beschloss daher, der Sache auf den Grund zu gehen.

15 Minuten vor Beginn des Presserundgangs finde ich mich ein und werde persönlich zum Ort des Geschehens geleitet: „Der erste Schwung wird hingeführt“, erklärt die Presse-Empfangsdame, worauf mein fragender Blick einen zweiten Medienvertreter findet, der umständlich an seiner Ausrüstung herumnestelt. „Schwung?“ „Zwei Männer sind ein Schwung. Wenn sie Schwung haben.“

Dreck ja, aber nicht kosmisch

Wie auch immer. Das Hinführen erweist sich als durchaus nötig, zumal es keine Hinweisschilder zu dem 10 m² kleinen Kämmerchen gibt, in dem das „immersive Kunsterlebnis“ vonstatten gehen soll. In dem spärlich erhellten Raum wartet bereits die Künstlerin, Victoria Vesna, begrüßt uns mit Corona-Check und beginnt sogleich mit wortreichen Erklärungen: Von unsichtbar kleinen Mikrometeoriten ist die Rede, die allgegenwärtig seien (tatsächlich gehen 70 bis 100 Tonnen des kosmischen Staubs täglich auf die Erde nieder) und ergo auch auf dem Dach des Naturhistorischen Museums zu erwarten waren. Leider habe man  keine gefunden. Nur Haare, Mikroplastik und sonstigen Schmutz. (Ein Bildschirm zeigt des Museums Meteoritenkurator mit Besen und Schälchen auf der Jagd, sprich beim Zusammenkehren von Dreck auf dem Dach.) Stattdessen veranschaulichten die vier ausgestellten, um den Faktor 10.000 oder so vergrößerten Mikrometeoritenmodelle aus dem 3D-Drucker (Bild) die faszinierende Vielfalt der Nanopartikel, die uns, gänzlich unbemerkt, ständig und überall mit dem Kosmos verbinden.

Schöne Metapher

Eine schöne und treffliche Metapher, finde ich, für die generelle Achtlosigkeit der Menschheit gegenüber der fundamentalsten Grundlage unserer Existenz: Alles ist mit allem verbunden. „Erfahrbar“ wird sie für mich freilich durch die vier leuchtenden Plastikteile nicht, ebensowenig wie sich mir die Verbindung zur hauseigenen Meteoritensammlung erschließt, laut Beschreibung „Ausgangspunkt für [Alien] Star Dust“. Dass die vier Modelle für die vier „Ecken“ der Erde stehen, ist hingegen offensichtlich: Schließlich steht es so im Pressetext.

Die Dinger hätten eigentlich in einem Magnetfeld schweben sollen, erklärt uns Ms. Vesna mit entwaffnender Offenheit, aber das habe sich als technisch äußerst schwierig herausgestellt. Außerdem: „So many children come here, it wouldn’t have lasted a day!“

Die Komplexität von Staub?

Im Hintergrund läuft eine sphärische Bildercollage, der Raum ist erfüllt von einer maschinell anmutenden Geräuschkulisse. „Schichten von Signalen vermischen sich mit vom Menschen gemachten Geräuschen und Melodien verschiedener Kulturen, umhüllen den Raum und intensivieren so die Erfahrung der Komplexität von Staub“ dichtet dazu das Presseheft. Ich habe dazu meine eigene Meinung. Zudem verweist Victoria Vesna auf ein Mikroskop „für Kinder“, durch das der Originaldreck vom Dach des Museums 500-fach vergrößert betrachtet werden kann. Das sei das eigentliche Herzstück der Installation. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Oder so.

Ein Blick darauf ist enttäuschend: Der Dreck wird grobkörniger, ansonsten ist er unverändert Dreck. Victoria Vesna weiß warum: Ungefragt erzählt sie, wie gelangweilt ihre Studierenden in Linz gewesen seien bei eben diesem Blick durchs Mikroskop. Aber dann, im Rasterelektronenmikrosop und 10.000-facher Vergrößerung, da habe es Aahs und Oohs gegeben, aber hallo. Immerhin ist uns dieser Anblick (Bild links) dank der Bildschirminfo auch vergönnt, wenn auch nur kurz. Die Abfolge der Illustrationen und informierenden Texte ist nämlich so rasch, dass man keinen Absatz zu Ende lesen kann. (Was nicht verhindert, dass mir das Fehlen eines Satzendes in einem der Texte auffällt; Berufskrankheit.) Ich erlaube mir, die Künstlerin darauf hinzuweisen: „At this rate the info is unreadable.“ „I agree“, sagt sie einfach. Und kündigt an, die Sache ehebaldigst zu reparieren. Immerhin.

Ferien wider die Erfahrung

Was ist nun aber mit der versprochenen „immersiven Erfahrung“, für die „Besucher Projektionen von Meteoriten aktivieren“, wie es in der Einladung steht und auch dem Haupttext der Installation zu entnehmen ist? Ich will endlich auf etwas drücken und dabei etwas erfahren. Leider, werde ich informiert, hätten ihre Studis in Linz schlicht keinen Bock gehabt, im Februar ihre Ferien zu unterbrechen und das Ding auf die Beine zu stellen. Gibt es nicht. Kommt aber, weil sie sei da nicht so, sie werde bleiben bis alles rund läuft. Bis dahin wird einfach der Text ausgetauscht, bevor noch mehr Leute im Halbdunkel herumirrend nach der kosmischen Erfahrung suchen. (Abgesehen davon soll die Installation nach der „Premiere“ in Wien in Hollywood gezeigt werden, wo man ein anderes Showpräsentationsniveau gewohnt ist.)

Na ja. Im angrenzenden Saal läuft eine Wärmebildkamera, und da ich auf sonst nichts drücken konnte mache ich ein Selfie. Und betrachte diesen Akt als „immersive Kunsterfahrung“.

 

 

Autor: Helmuth Santler

12. März 2020 um 18:03

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