Das Dilemma des Orakels
Als Kind plagten Julian alptraumhaft verzerrte Wahrnehmungen, manchen Menschen strömte bedrohlicher Nebel aus den Augen, ganze Körperteile verschwanden hinter undurchdringlicher Schwärze. Die als krankhafte Fehlschaltungen seines Gehirns angesehenen, unverständlichen „Trugbilder“ machen den Buben zum gemobbten, sozial völlig unfähigen Außenseiter, werden erfolgreich medikamentös unterdrückt – und kommen prompt wieder, als er Jahre später die Pillen absetzt. Schlimmer noch, scheinen sich die Vorahnungen doch zu bewahrheiten … kann die Zukunft wirklich Schatten werfen? In Ursula Poznanskis All-Age-Mystery-Thriller Oracle (ab 14) übernimmt der Studienanfänger Julian die Rolle der Kassandra. Anders als diese hat Julian auch noch mit Psychotherapie und Social Media zu kämpfen – und weigert sich, die Visionen als unabwendbares Schicksal zu begreifen. Doch ist ein Unglück, an das niemand glaubt, zu verhindern – bevor es eintritt? Oder löst es sein Handeln überhaupt erst aus? Der spannende und wendungsreiche Thriller ist das neueste Stück aus dem Meisterinnenbetrieb: solides Kunsthandwerk auf hohem Niveau.
Ursula Poznanski, „Oracle“. € 22,60 / 432 S. Loewe-Verlag, Bindlach 2023
Im Standard, 19.8.23
