Rosinski drauf, de Vita drin, Sente verbindet
Nach etwa 30 Jahren hat sich Carlsen von der Serie Thorgal verabschiedet und das weitere Geschehen im deutschsprachigen Raum in die Hände von Splitter gelegt. Vielleicht bereut das renommierte Haus das noch, denn unter der künstlerischen Gesamtleitung des Thorgal-Zeichners Rosinski und des neuen Szenaristen Yves Sente ist gerade ein ganzes Spinoff-Universum im Entstehen: Lupine, die Tochter von Thorgal und Aaricia mit dem besonderen Verhältnis zu Tieren, bekommt ihre eigene Serie, ebenso Aaricia selbst; eine Reihe wird unter dem Arbeitstitel „Thorgals Jugend“ entwickelt, dazu sind in loser Reihenfolge Einzelbände geplant.
Den Auftakt der Welten von Thorgal bildet aber eine auf sieben Bände angelegte Reihe über die attraktive Böse der Hauptserie: Kriss de Valnor. Der Szenarist bis Bd. 29, Jean van Hamme, hatte der dunkelhaarigen Kriegerin einen spektakulären Abgang verschafft: Zum ersten Mal in ihrem fiktiven Leben opfert sich Kriss für jemand anders auf und verhilft Thorgals Familie, zu der ab diesem Moment auch ihr Kind mit dem Sohn der Sterne gehört, zur Flucht. Der Auftaktband der Spinoff-Reihe setzt genau hier an: Kriss ist tot, ihre letzte Tat hat aber das zuvor eindeutig negative göttliche Urteil über sie wieder ins Schwanken gebracht. Sie wird Freya vorgeführt und berichtet auf deren Geheiß von ihrer Kindheit: „Wer war das Kind, das dich schuf, Kriss de Valnor?“
Der Band funktioniert im Kontext der Überserie ausgezeichnet, zumal hier mit Yves Sente ebenfalls der neue Thorgal-Szenarist am Werk ist und für fugenlose Kontinuität sorgt. Isoliert betrachtet ist die Story ein wenig ungreifbar und zugleich nicht übermäßig originell, aber diesbezüglich sollte sich noch einiges ändern, nimmt man Sentes frische Originalität zum Maßstab, die sich seit Band 30 durch die Serie Thorgal zieht.
Als etwas problematisch empfinde ich die Entscheidung, Rosinski alle Cover gestalten zu lassen: Dadurch ergibt sich zwar ein perfektes äußerliches Erscheinungsbild, aber als Leser ist man nicht auf den durchaus andersartigen Stil der Comics abseits der Hauptserie vorbereitet. Zeichner des hier vorgestellten Werks ist Giulio de Vita, und auch wenn der Mann ausgezeichnete Arbeit leistet, kann er doch in einem sehr entscheidenden Punkt nicht mit Rosinski mithalten: dessen unvergleichlicher Art, Frauen darzustellen. Mit Charakter, Persönlichkeit, femininer Sinnlichkeit und in einer Vielfältigkeit, die ihresgleichen sucht.
Giulio de Vita, Yves Sente: Die Welten von Thorgal. Kriss de Valnor 1: Ich vergesse nichts! Splitter, Bielefeld 2011. Geb., 80 S.