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Kreuzigers Tod

Peter Oberdorfer Kreuzigers TodAua. Nach einigen Seiten dieses Erstlings eines in Thailand lebenden Tirolers mit juristischer, sinologischer und journalistischer Vergangenheit drängte sich mir die folgende Formulierung auf: So österreichisch, dass es weh tut (und nicht: dass es schmerzt). Peter Oberdorfer seziert die sturschädelige, verbissene, verknöcherte Gesellschaft in einem Tiroler Bergdorf der frühen 70er-Jahre mit grausamer Unerbittlichkeit und brillanter Beschreibungsgabe. Die braune Vergangenheit, das Unausgesprochene, die verhärteten Fronten, der Neurosendünger, der katholische Dauerschuldspruch – all dies wird fühlbar und sichtbar, es würgt und ist trotz alledem auf eine verzweifelte, düstere Art auch komisch.
Aufgehängt ist all dies an den Ermittlungen des Ortspolizisten und Ich-Erzählers im Fall Kreuziger. Der Titelheld hat in diesem Roman nichts zu sagen, weil eine Axt in seinem Schädel steckt; gleich von Anfang an. Die anderen reden grundsätzlich so wenig wie möglich, was allerdings den Wahrheitsgehalt der kargen Aussagen keinesfalls per se steigert. Selbst die ca. 7 Liter Schnaps, die im Verlaufe der Geschehnisse schätzungsweise vernichtet werden, können gegen die eisenharten psychischen Verkrustungen wenig bis nichts ausrichten.
Auch der Wachmann hat es nicht leicht: Nach kaum 20 Jahren im Dorf ist er natürlich noch ein Fremder. Außerdem schwirren ihm kafkaeske Vorgesetzte mit Allmachtsphantasien um die Ohren, die die Gelegenheit zur Rache mit Freuden ergreifen. Herr Dorfpolizist hat nämlich Jahre zuvor das schlimmste aller Verbrechen begangen: Er hat nach oben gespuckt. Dass die Spucke einem dann zwangsläufig selber ins Gesicht fällt, hätte er eigentlich wissen sollen. Und dass die kratzbuckeligsten, untertänigsten Mitarbeiter nicht unbedingt die loyalsten sein müssen, auch. (Wobei der schwer nachvollziehbare Wandel der Figur des Engel vom faktisch illiteraten Dorftrottel zum effizienten Handlanger der Staatsgewalt für mich die einzige gröbere Schwäche des Romans darstellt.)
Jedenfalls: So sieht er aus, der Bodensatz der Generation der heute 40-Jährigen. Aus der Sicht von Peter Oberdorfer zumindest. Oder aus der Sicht von Menschen, die nicht über den eigenen Bergesrand hinauszublicken vermögen. Für die Talschluss ein anderes Wort für Weltende ist. Und wie schon eingangs gesagt: So österreichisch, dass es weh tut. Schreiben Sie weiter, Herr Oberdorfer.
Peter Oberdorfer: Kreuzigers Tod. dtv, München 2008. Tb., 272 S.

Autor: Helmuth Santler

27. Jan. 2011 um 13:19

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