Die Unmöglichkeit der Wahrheit
Joachim Linde, Mittelschullehrer für Deutsch, hat familiäre Probleme; über Jahre haben sie sich entwickelt, um an diesem Wochenende zu kumulieren und ihn zu zwingen, endlich die Karten auf den Tisch zu legen, „peinlichstes Privatleben“ vor seiner versammelten Kollegenschaft auszubreiten.
Seine Tochter ist sechs Monate nach einem Selbstmordversuch zu ihrem Freund nach Mailand abgezogen, seine depressive Frau muss die Tage in einer psychiatrischen Klinik verbringen, sein Sohn hat einen schweren Autounfall – und all diese Ereignisse lassen sich auf einen Moment der Unachtsamkeit/Entgleisung/Pervertiertheit Lindes zurückführen, als er in Gedanken ein Tabu übertrat und sein Kind als Frau betrachtete.
Arjounis dichter Roman befasst sich mit privaten und historischen Schuldzuweisungen, mit der Unmöglichkeit, eine Wahrheit zu finden, mit den katastrophalen Folgen verabsäumter Kommunikation. Zwischen der Tatsächlichkeit von Gedanken und der Unwirklichkeit des Tatsächlichen wird Linde beim Versuch, mit sich und der Welt im Reinen zu bleiben, beinahe zerrieben. Präzision im Angesicht der Unwägbarkeit zeichnet seine neueste Arbeit, wie gewohnt von hoher literarischer Qualität, aus. Des Deutschtürken ausgeprägten Sinnes für Humor lässt sie – verständlicherweise, dennoch leider – vermissen. Der „intelligenten Unterhaltung“, für die Arjounis bisherige Bücher standen, ist das Augenzwinkern abhandengekommen. Lesen Sie es trotzdem.
Jakob Arjouni: Hausaufgaben. Roman, 188 S., Diogenes, Zürich 2004.
Taschenbuch | Gebundene Ausgabe | Kindle-Edition | Audiobook