Die Sieger der Grenzen
Ganz, schön, schräg: die hypersurrealen „geheimnisvollen Städte“.
Seit den 1980ern arbeitet das belgisch-französische Zeichner-Szenaristen-Gespann Schuiten/Peeters an seinem Lebenswerk-in-Progress Die geheimnisvollen Städte. Die 18 bisher erschienenen Bände formen hypersurrealistische Parallelwelten mit viktorianischer Anmutung (in denen ein gewisser Jules Verne immer wieder mit Cameo-Auftritten auf sich aufmerksam macht): Schuitens Zeichenstil gehört zur Schule der Ligne claire und ist von ausgefeilter, naturalistischer und oft als beklemmend erlebter Schönheit. Das inhaltlich jeweils eigenständige Geschehen in den groß- und größtformatigen Comics (Der Archivar misst z.B. 40 × 30 cm) ist indes unwirklich und siedelt die oft ohnmächtigen Protagonisten in einem Niemandsland zwischen kleinkarierter Politik, kafkaesk überbordender Bürokratie und einer Technik im Steampunk-Design an, von der selten gesagt werden kann, ob sie noch im Dienst der Menschheit steht oder diese längst zu Marionetten ihrer eigenen Erfindungen gemacht hat.
In Jenseits der Grenze erliegt ein junger Kartograf dem „Gespenst“ seines Berufsstandes: Er beginnt die minutiös aufgezeichneten Grenzen für die Wahrheit, ja sogar etwas Naturgegebenes zu halten, und zieht in seiner zusätzlich erotisch aufgeladenen Verwirrung die völlig falschen Schlüsse. Viel zu spät erkennt er, nur ein Instrument zu sein – wie auch seine geliebten Landkarten nichts anderes als Instrumente sind, die in den dazu fähigen Händen auch als Waffe missbraucht werden können: Geschichte wird von Siegern geschrieben – und die übernehmen auch das Ziehen von Grenzen. Kartenpapier ist so geduldig wie jedes andere …
François Schuiten, Benoît Peeters: Die geheimnisvollen Städte. Jenseits der Grenze.
€ 27,60, 136 S., Schreiber&Leser, Hamburg 2012
Standard-Rezi vom 25. 10. 2013, hier das PDF