Ab und zu war immer einer tot
„Ein Mensch ist nicht viel, höchstens eine Aktentasche voll“: Der Schlächter von Hannover in einer herausragenden Graphic Novel.
„Warte, warte nur ein Weilchen, / bald kommt Haarmann auch zu dir, / mit dem kleinen Hackebeilchen / macht er Hackefleisch aus dir.“
Dieser in Deutschland geläufige Kinderreim erinnert an eine der archetypischen Schreckensgestalten der Neuzeit: Fritz Haarmann, der Jungenschlächter, der seine zumindest 24 Opfer vergewaltigte und ihnen dabei die Luftröhre durchbiss. Anschließend tranchierte er sie fachgerecht und verkaufte das Fleisch im bitterarmen Hungerdeutschland der 1930er-Jahre auf dem Schwarzmarkt.
Die atmosphärisch dichte Schwarzweiß-Graphic-Novel erspart uns die Horrorszenen im grafischen Detail und zeichnet stattdessen ein bedrückendes Porträt einer Zeit, in der die Staatsgewalt sich in der zutiefst korrupten Willkür Einzelner ausdrückte und obrigkeitliche Allmachtsfantasien nicht einmal den Gedanken zuließen, gewöhnliche Bürger seien zu polizeirelevanten Aussagen fähig. Haarmann, vom Militärdienst als „erheblich schwachsinnig“ befreit und bei der Polizei als „gemeingefährlicher Geisteskranker“ geführt, erhielt dennoch, zurück in Hannover nach seiner Flucht aus der „Idiotenanstalt“ in die Schweiz, ein „Unbescholtenheitszeugnis“ und verdingte sich als Kleinkrimineller und Spitzel – inklusive Polizeiausweis (!). Jahrelang gingen Anzeigen über ihn ein und blieben unbeachtet, selbst eine Menschenfleischprobe änderte nichts an der Haltung der Behörde: „Schwein.“
Bis hin zu Haarmanns eigentümlicher Sprache („Schreiben Sie man dazu.“) authentisch wirkende, detailversessene und großartig gezeichnete Aufarbeitung eines der grauenvollsten Verbrechen der Geschichte – und einer Epoche, die solchem Wahnsinn erst den Boden bereitete.
Peer Meter, Isabel Kreitz: Haarmann, € 20,50, 178 S., Carlsen, Hamburg 2010
Standard-Rezension, 7. 12. 2013 PDF