Als die Sonne auf Hiroshima fiel
Keiji Nakazawa (1939–2012) verarbeitete seine Erinnerungen zu einem Aufschrei gegen den Krieg, mit dem der Manga in den Westen kam.
Schmelzendes Fleisch, brennendes Fleisch, verkohltes Fleisch – und mitten drin zwischen rauchenden Trümmern, schreienden Menschen, zwischen Angst, Hunger, Schmerzen und Verzweiflung, zwischen Wahnsinn und Tod, Tod, Tod der kleine Gen, ein Überlebender. Wir schreiben den 6. August 1945: Der Tag, an dem die Sonne auf Hiroshima fiel.
Manga, das japanische Wort für Comic, bedeutet in etwa „ungezügeltes Bild“. Und drastisch sind sie, die Zeichnungen von Keiji Nakazawa, mit denen er sein Überleben der atomaren Hölle als Sechsjähriger in Erinnerung ruft. Mehr in dem, was sie zeigen, als wie sie es zeigen: Nakazawa bleibt dem für westliche Augen gewöhnungsbedürftigen Manga-Stil treu, wenn auch nicht allzu heidi-extrem. „Seine Zeichnungen wirken etwas hölzern und wenig nuanciert“, befindet etwa Art Spiegelman, ein anderer ganz Großer des Erinnerungsbuchs. „Sie leisten aber genau das, was jede gute Literatur auszeichnet: Sie erwecken die Figuren zum Leben.“ Schlicht seien sie und von überzeugender Ehrlichkeit: „Die Authentizität der Geschichte macht sie unangreifbar.“
Kriegsopfer Nr. 0019760
Nach dem Strahlungstod seiner Mutter in den 60ern begann Nakazawa mit seinem Erinnerungswerk. Barfuß erschütterte ab ’73 Japan und schrieb Kulturgeschichte: Es brachte den Manga 1978 in den Westen; 1982 erschien Kinder des Krieges, Teil 1, als erster Japan-Comic auf Deutsch – und floppte. Heute liegt uns die Hälfte seines Opus magnum in Übersetzung vor.
Band 1 endet mit der Katastrophe. Zuvor geißelt der Autor und Zeitzeuge den japanischen Kriegswahn, die Propagandalügen, die Selbstaufgabe der Menschen für eine nationalistische Ehre, die an jedem Platz der Erde für dieselbe mörderische Verlogenheit steht. Es ist ein Buch voller Gewalt – für den Frieden.
Keiji Nakazawa litt seit dem Bombenabwurf an Diabetes und wurde deshalb von den japanischen Behörden als Hibakusha (Atombombenopfer) Nr. 0019760 geführt. 2009 musste er das Zeichnen aufgeben, da seine Krankheit sein Sehvermögen zu stark beeinträchtigt hatte. Am 19. Dezember 2012 verstummte eine der lautesten Stimmen Japans gegen die Nutzung der Atomkraft für immer. Seine Mahnung bleibt bestehen.
Keiji Nakazawa: „Barfuß durch Hiroshima. Kinder des Krieges“. € 12,40, 304 Seiten, Carlsen, Hamburg 2004. Bd. 2 „Der Tag danach“, Bd. 3 „Kampf ums Überleben“, Bd. 4 „Hoffnung“
Standard-Rezension, 12. 1. 2013, PDF