Schlicht erschütternd
Naiv und nüchtern in die Emotionsfalle
Der Comic wird erwachsen – was sogar hierzulande langsam bemerkt wird. Im Weg ist ihm dabei sein „komischer“ Name, der mehrheitlich nach wie vor an kindliche Unterhaltung, Knollennasen und Donald Duck denken lässt. Die sequenzielle Kunst ist aber eine Darstellungsform und kann sämtliche Genres und Gattungen bedienen.
Der vorliegende Comic, eine „grafische Biografie“ von Anne Frank, ist im oben skizzierten Kontext eine Gratwanderung: Die Zeichnungen sind schlicht, einfach, die anfänglichen Berichte aus dem Frankschen Familienleben teils beinahe banal zu nennen. Eingestreut werden „Schlaglichter“, die den historischen Kontext verdeutlichen sollen; in einem davon erfahren wir, dass Hitlers Anhänger „Nazis genannt wurden“. An diesem Punkt war ich versucht, das Buch beiseitezulegen; auch wenn hier kein „komischer Streifen“ vorlag, so doch anscheinend eine Kinderlektüre? Es gibt zu diesem Buch keine Altersempfehlung seitens des Verlags.
Überwältigung durch Reduktion
Im Weiterlesen wurde indes die Raffinesse hinter der trügerischen Schlichtheit und naiven Anmutung dieses Werks, entstanden in zweijähriger, intensiver Zusammenarbeit mit der Anne-Frank-Stiftung, deutlich: Die undramatischen Zeichnungen, der nüchterne Erzählton bereiten die Bühne, um auch das Unfassbare, das in immer rascherer Folge über die Familie Frank hereinbricht, aufnehmen zu können. In keiner Phase wird das Entsetzliche noch betont, das Grauen besonders hervorgehoben – und gerade deshalb ist das Resultat emotional überwältigend: Die Neutralität der Darstellung lässt keine Abwehrhaltung entstehen, ungeschützt nehmen wir die zum Großteil bekannten Tatsachen (erneut) zur Kenntnis. Und sind erneut erschüttert. Ich glaube, in jedem Alter.
Sid Jacobson, Ernie Colón: Das Leben von Anne Frank. € 17,40, 160 S., Carlsen, Hamburg 2010.