Die Suche nach dem Licht
Historisch akkurate Comic-Biografie Caravaggios – Milo Manaras meisterliche Reverenz
Ungeschönte Wahrheit wollte er malen und dem Volk vor Augen führen: Michelangelo Merisi, der meist mit dem Namen seines Herkunftsorts gerufen wurde und so auch in die Kunstgeschichte einging – Caravaggio. Obwohl er seinem lebendigen Mythos zufolge der Prototyp des verruchten Künstlers war – er wurde immer wieder eingekerkert, scheute keine gewalttätige Auseinandersetzung, war Gerüchten zufolge bisexuell –, fand er seine bedeutendsten Förderer in den Reihen der römischen Kardinäle. In seinen Sakralwerken verknüpfte er Biblisches mit Profanem in teils höchst provokanter Form, nicht zuletzt, weil er nachweislich Dirnen als Modelle für die Gottesmutter Maria und andere weibliche Heilige nahm.
Nacktheit mit zweierlei Maß
Manara erweist nun dem Barockmaler seine Reverenz – von Meister zu Meister. Die Darstellung hält sich akkurat an die historischen Fakten, liefert ein detailreiches, naturalistisches, großartig gezeichnetes „nacktes“ Abbild einer Stadt und einer Zeit, und ist doch auch eine Interpretation, denn das überschäumende Leben, das Manara seinem Caravaggio einhaucht, entspringt dessen eigener Künstlerseele. So erklärt Manara etwa das auffällige Fehlen weiblicher Sinnlichkeit im Œuvre des Mailänder Michelangelos bei gleichzeitigem Ausnützen jeder Gelegenheit, so viel nacktes männliches Fleisch zu zeigen wie möglich, mit der damaligen Zensurlage: „Stell dir vor, ich würde ein Mädchen in derselben Pose malen“, lässt Manara Caravaggio zu seinem Amor sagen. „Da würde mich aber die Pfanne in Tor di Nona erwarten.“ (Eine beliebte Bestrafung im römischen Kerker war das Prügeln mit einer der schweren, gusseisernen Maronipfannen, deren durchlöcherter Boden grobe Wunden ins Fleisch riss.) Oder seine katholischen Förderer urgierten gezielt: Bedecke das Gesäß dieses Engels, übermale Judiths Brüste …
In Manaras Caravaggio fehlt es erwartungsgemäß nicht an weiblicher Nacktheit (in Manara-stereotyper Form), diese steht indes im (großzügig ausgelegten) Dienst der Geschichte – nach Borgia taucht der Großmeister des erotischen und neuerdings historischen Comics erneut in eine Zeit ein, in der das Leben prall und der Tod rasch war. Ganz im Sinne der harten Kontraste von Caravaggios Technik des Chiaroscuro liefert uns Manara ein Abbild einer Zeit der Extreme: voller Saft und Kraft, Blut und Wut, Schönheit und Gestank.
Milo Manara: Caravaggio. Bd. 1 von 2. € 17,50 (A), 64 S., geb. Panini Comics, Stuttgart 2015