Den Sorge in die Tasche stecken
Die Doku-Fiktion um Stalins Spion in Tokio erscheint neu als Paperback: eine Rarität bei Graphic Novels.
Richard Sorge, Kommunist, Journalist, Trinker und Frauenheld, genoss das unbedingte Vertrauen des deutschen Botschafters im Japan des Zweiten Weltkriegs: Zum Schein war er der NSDAP beigetreten und versorgte den Diplomaten laufend mit Informationen aus den innersten Zirkeln der japanischen Politik, zu denen die mikrokosmische deutsche Gemeinde sonst keinen Zugang hatte.
In Wahrheit spionierte Sorge für Stalin, und als er vom bevorstehenden „Unternehmen Barbarossa“ Wind bekam, Hitlers Angriff auf die Sowjetunion, wähnte er sich als Agent am Gipfel: Er würde es sein, der Hitler zu Fall bringt. Doch Stalin misstraute ihm und verwarf im Glauben an real existierende Despotenehre – er und Hitler hatten einen Nichtangriffspakt – die Nachricht als „irreführend“.
Zuletzt griff Sorge doch noch in die Weltgeschichte ein: Japan verweigerte den Nazis den Wunsch, die UdSSR in die Zange zu nehmen, und als Sorge dies nach Moskau kabelte, wurden kriegsentscheidende Truppenverbände von Ostsibirien an die Wehrmachtfront verlegt. Kurz darauf wurde Sorge von den Japanern enttarnt und hingerichtet. Erst 20 Jahre später erklärte man ihn posthum zum sowjetischen Nationalhelden.
Zeitporträt statt Chronik – zum halben Preis
Isabel Kreitz wählte für ihr Graphic-Novel-Debüt 2008 das Format einer Doku-Fiktion: Statements von „Zeitzeugen“ werden in kurzen Szenen nachgestellt. Weniger Spannung und eine fortlaufende Handlung waren ihr ein Anliegen, sondern das Schaffen eines vielschichtigen Porträts einer Person, eines Ortes, einer Zeit. Ein Vorhaben, das dank intensiver Recherche und den Kreitz-typischen, atmosphärisch dichten Zeichnungen gelingt.
Der preisgekrönte Bildroman ist eine von vier Graphic Novels, die, eine echte Seltenheit für dieses Medium, nach der gebundenen Ausgabe eine broschierte Neuauflage erleben, um über den halben Preis breitere Leserschichten für den ernsten Comic zu gewinnen. Begrüßenswert.
Isabel Kreitz, „Die Sache mit Sorge“. € 10,30 / 256 Seiten. Carlsen, Hamburg 2014