While There’s a Moon over Burgring Wien
Besser spät und dafür überzeugend: Die Mond-Sonderschau im NHM nähert sich der Faszination des Erdtrabanten lehrreich, unterhaltsam und von allen Seiten.
Es hat ein wenig gedauert, bis auch das NHM seinen Beitrag zum Mondlande-Jubiläumsjahr abgeliefert hat, dafür ist es „the most comprehensive exhibit“ von allen geworden. Also sprach einer, dem man das gerne glauben mag: Russel „Rusty“ Schweickart, der es als Mitglied der Apollo-9-Testmission wenige Monate vor dem First Man „nur“ bis zum und nicht auf den Mond schaffte. Was ihn damals schon wurmte, aber schon lange nicht mehr: Die Ergriffenheit, als er nach Tagen mit nichts als leblosem grauem Gestein vor Augen zum ersten Mal dieser wunderschönen, lebendigen blauen Perle ansichtig wurde, „our little corner in the universe“, ist 50 Jahre danach spürbar, als wäre es gestern passiert. Man merkt: Hier wurde ein Leben verändert – innerhalb eines Wimpernschlags.
Der Mond mag ein toter Brocken sein, nach tausendjähriger Mumie duften und seine menschliche Unberührtheit verloren haben: seiner Faszination tut dies keinen Abbruch, sein Mythos ist im Gegenteil eher größer geworden. Die Schau verdeutlicht dies auf höchst gelungene Weise: vom Herzstück, einem raumfüllenden Mond (Bilder), über etliche interaktive Stationen (Mond riechen, berühren, drauf herumfahren, sein Gewicht auf dem Erdtrabanten messen …) und einen Streifzug durch die mondinspirierte Kunstgeschichte bis zu einer Vielzahl von Informationen rund um die Apollo-Missionen und die Auswirkungen des kosmisch gesehen ungewöhnlich nahen und ungewöhnlich großen Planetenbegleiters.
Der Erkenntnis nähert man sich hier in bester Infotainment-Manier und von allen Seiten. Und so ist es ein bisschen erstaunlich, dass das für mich umwerfendste Faktum einem kurzen, schlichten Text entspringt: Der wichtigste Einfluss des Mondes auf die Erde besteht in der Stabilisierung der Erdachse. Diese ist zur Ekliptikebene um 23,5° geneigt (was die Jahreszeiten verursacht) und schwankt nur minimal. Ohne den Mond wären freilich Neigungen zwischen 0° und 85° (oder neueren Berechnungen zufolge nicht ganz so viel) möglich mit in der Folge dramatischen Klimaänderungen. Eine solche katastrophale Unberechenbarkeit steht sogar im Verdacht, die Entstehung von Leben überhaupt verhindern zu können.
Bekannt ist das seit 1993 dank den Forschungen des französischen Astronomen Jacques Laskar. Hätte ich also durchaus schon früher wissen können. Andererseits finde ich es weit erstaunlicher, dass die gesamte Wissenschaftsgemeinde bis ein Vierteljahrhundert nach der Mondlandung gebraucht hat, um zu dieser wohl fundamentalsten und absolut mythentauglichen Monderkenntnis zu gelangen: Wir verdanken ihm nichts weniger als unsere gesamte Existenz. Also vielleicht. Alle Geheimnisse hat la Luna ja mit Sicherheit noch nicht preisgegeben.
„Der Mond. Sehnsucht, Kunst und Wissenschaft.“ Naturhistorisches Museum Wien, bis 1.6.2020