Viele Daten, wenig Taten
Die Prämisse ist bestechend: Anstatt weitere Jahrzehnte darauf zu warten, dass in Sachen Klimaschutz, Emissionsminderung, Ausstieg aus dem Fossilzeitalter und Einstieg in die Erneuerbaren endlich wirklich etwas weitergeht, soll die Abkühlung per Geoengineering passieren. Dies freilich nicht aus reinem Altruismus: Chinas Vorstoß ist nichts anderes als der Versuch, die Kontrolle über das Weltklima an sich zu reißen – und damit die Kontrolle über die Welt.
Nun sind die Erfahrungen der Menschheit mit Versuchen, sich in die unendlich komplexen und vor allem bestenfalls halb verstandenen ökologischen Vorgänge einzumischen, völlig desaströs, zudem droht natürlich auch bei diesem Plan, weil sofort politisch instrumentalisiert und dem ewigen Tanz ums goldene Kalb untergeordnet, die Sache, um die es eigentlich geht, aus dem Blickfeld zu geraten. Und dann ist da im Hintergrund anscheinend ein weiterer Player, der sein ganz eigenes Ding durchziehen will und dafür buchstäblich über Leichen geht.
Celsius spinnt in gewohnter Marc-Elsberg-Manier ein wohlrecherchiertes, Science-basiertes Nahzukunftsszenario, leider bleibt das Thrillerelement diesmal auf der Strecke. Soll heißen: Der extrem fragmentierte Aufbau, das Einbauen von Fiktion-in-der-Fiktion-Passagen, ohne diese kenntlich zu machen, und das über Hunderte von Seiten ausgedehnte Anbahnen des ultimativen Plot-Twists überdehnen den Spannungsbogen dermaßen, dass sich Ermüdung einstellt. Es passt hervorragend zum Thema: Klimaschutz findet ja vor allem deswegen in viel zu geringem Ausmaß statt, weil niemand den nötigen Durchblick hat und sämtliches Tun dafür oder dagegen sich mit so viel zeitlicher Verzögerung auswirkt, dass die Menschen vielleicht eine intellektuelle, aber so gut wie nie eine emotionale Verbindung herzustellen vermögen. Ob das Absicht des Autors war, bleibe dahingestellt; als Thrillerrezept im engeren Sinn funktioniert es nicht.
Dessen ungeachtet ist Celsius letztlich ein lesenswerter Beitrag zur Klimadebatte, der auch neue Perspektiven ins Spiel zu bringen versteht, und eine eindringliche Warnung, sich einmal mehr der menschlichen Hybris zu überantworten. Schade, dass es auch dieser nicht gelingen wird, aus Daten Taten entstehen zu lassen.
Marc Elsberg, „°C – Celsius“. € 26,80 / 608 S. Blanvalet, München 2023