Das Lied von Eis und Feuer
Zugegeben – eine Neuerscheinung ist dieses Opus nicht und hätte insofern keine Berechtigung, unter dieser Rubrik zu erscheinen. Andererseits: für mich war es eine neue Erscheinung. Und mein Wunsch, es Ihnen ans Herz zu legen, ist nach dem Verschlingen von annähernd 4.000 Seiten einfach zu drängend geworden, um die bisher 6 Bände direkt an jenen Ort zu stellen, wo sie eigentlich hingehörten: Best of Fantasy.
„Die vielleicht beste epische Fantasy überhaupt!“, wird Marion Zimmer Bradley, Autorin der Nebel von Avalon und zahlreicher anderer guter Schmöker, auf jedem der Bände zitiert. Bis auf das „vielleicht“ ein unbedingt zitierwürdiger Satz. Das Lied von Eis und Feuer, die in erster Linie historisierende und erst in zweiter magisch-mysteriöse Geschichte um die sieben Königslande von Westeros und das „Spiel der Throne“, sprüht vor Ideen, prunkt mit Bildern voller Macht und Einfallsreichtum, überzeugt sprachlich (auch in der Übersetzung*) und ist in Besorgnis erregendem Ausmaß spannend, ja Lesesucht erzeugend. Dem Fortschreiten dieser Bücherseite hat es nicht wirklich gut getan – etwas anderes zu lesen kam die letzten Wochen einfach nicht infrage.
Es kommt einer Folter gleich: Quälend langsam schreitet die Handlung voran, denn so viel ist von den einzelnen Ereignissen zu berichten. Dies wiederum geschieht auf unnachahmlich packende Weise. Und so verlieren wir uns in einer unermesslichen Detailfülle, verstrickt in „Zeitgeschichte“, und wollen mehr und immer noch mehr erfahren, wissen wie es weitergeht… und müssen doch bald erkennen, dass genau da der Hund begraben liegt. Es wird weitergehen – so ewig wie das Leben. Ein Ziel gibt es nicht, nicht im Großen, nur für die handelnden Personen, großteils Spielfiguren auf dem Brett des Lebens, Marionetten ihrer Verknüpfung in ihre eigene (Familien)-Geschichte. Das Ende, ja, das Ende gibt es schon – für alle kommt es, eher früher als später. Valar morghulis; alle Menschen sterben.
George R. R. Martin hat Leben erschaffen. So echt sind seine Figuren, so fernab jeder einfachen Charakterisierung, dass wir sie kennen, lieben und hassen lernen als wären sie tatsächlich existent. Verzeihung: Sie sind existent – Martins Leben ist wirklicher als das der meisten Menschen auf diesem Planeten – eine Frage der Wahrnehmung. Sein Leben wimmelt auf seinem Lebensspielplan, kleinlich mit sich selbst beschäftigt, blind für die ewigen polaren Kräfte, die es in die Zange nehmen. Wir Leser wissen ein wenig mehr, haben eine etwas bessere Chance, den Überblick im Chaos des Daseins zu bewahren, in dem sich all die vielen Spielfiguren so unendlich wichtig nehmen. Einfach ist das wahrlich nicht. Und vor allem: Das Leben endet nicht; die Bücher aber schon. Mr. Martin kämpft dagegen an: 911 Manuskriptseiten des nächsten Bandes sind fertiggestellt. Jetzt heißt es also warten. Was das Leben so mit sich bringt.
George R. R. Martin: Das Lied von Eis und Feuer. TB, Blanvalet-Verlag 1997–2002.
Anm. zur dt. Ausgabe: Die amerikanischen Originalausgaben sind in der Übersetzung in jeweils 2 Bänden erschienen.
Anm. zur neuen dt. Ausgabe: Als diese Hymne erschien, sah die Reihe noch ganz anders aus. Das ist aber nicht der Grund dafür, dass diese Ausgaben gebraucht für Preise bis zu 50 Euro angeboten und wohl auch gekauft werden. Sondern die unselige Entscheidung von Blanvalet, ab Band 9 sämtliche Namen einzudeutschen wie in einem schlecht synchronisierten Film der 1950er-Jahre: Jon Schnee, Theon Graufreund … einfach unerträglich.